Zusammenfassung des Vortrags der Historikerin Dr. Irmtraud Heitmeier, JHV in Benediktbeuern
von Heike Arnold
Die „Baiuaria“ und ihre Bevölkerung. Bayerns Frühzeit in der neueren Forschung

Die ältere Forschung war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fokussiert auf die Frage nach dem „Volk“: Wer waren die Baiuvarii, woher kamen sie? Wie selbstverständlich wurde die große Landesausstellung 1988 „Die Bajuwaren“ betitelt. Ab den 2000er Jahren setzte sich jedoch zunehmend die Einsicht durch, dass nicht die Völker die Räume, sondern die Räume die Völker schufen. Das hatte einen Perspektivwechsel auf den Raum zur Folge.
Schon ab den 1960er Jahren wurden alte Vorstellungen von der „Landnahme eines Stammes“ in einem durch Barbarenstürme verwüsteten und verlassenen nachrömischen Voralpenland (Vita Severini) durch archäologische Befunde (Gräberfeld von Klettham-Altenerding) und eine kritische Hinterfragung der Überlieferung zur Wanderzeit zunehmend in Frage gestellt. Die Annahme einer Landnahme wich der These einer „Ethnogenese im Land“, also einer „Volkswerdung“ aus altansässiger und neuzugezogener Bevölkerung, deren identitätsstiftenden „Traditionskern“ man in den „Männern aus Böhmen“, den Baiuvarii, zu erkennen glaubte. Ein bestimmter Keramiktyp, der an der Donau wie in Böhmen gefunden wurde (Friedenhain-Přešt’ovice-Keramik), erschien als unmittelbarer Niederschlag dieser Zuwanderung.
Als diese Keramik sich jedoch in ganz Süddeutschland fand, wurde sie als Kronzeugin eines Zuzugs aus Böhmen unbrauchbar. Zudem kam eine vergleichende Untersuchung aller Völkernamen auf -varii zu dem Schluss, dass die Deutung des Baiernnamens als „Männer aus Böhmen“ in semantischer wie geographischer Hinsicht zu eng war. Beides entzog der Ethnogenesetheorie entscheidende Grundlagen. Die -varii-Namen weisen vielmehr auf einen militärischen Kontext der Namenträger hin, da sie überwiegend für spätrömische Truppeneinheiten belegt sind (Notitia dignitatum, z.B. Raetobarii), bevor sie in der weiteren Entwicklung zu Bewohnernamen wurden. Im Baiern-Namen legt das Erstglied einen geographischen Bezug zu einem ehemaligen Boierland nahe, das allerdings über Böhmen hinaus bis nach Ungarn reichte, nicht aber nach Westen in das heutige Altbayern, die ehemalige römische Provinz Raetia secunda.
Das Gebiet südlich der Donau, das keineswegs leer war, wurde in den 530er Jahren vom Ostgo-tenkönig Witigis an die Franken abgetreten, die in der Folge dort ein Herzogtum (= Militärbezirk) einrichteten. Dieses sollte die Südostgrenze des Merowingerreiches und insbesondere die Zugänge zu den Alpenpässen sichern. Als erster uns bekannter Herzog wird zu 555 Garibald genannt, den der Merowingerkönig Chlothar einsetzte, ohne dass bereits von Bayern die Rede wäre. Unter Garibald wurde das Land neu organisiert. Zwar wurden die Römerstraßen und zentrale Orte weiter benutzt, doch gab es insgesamt einen neuen Plan vom Land. Es entstanden neue Siedlungen nach einem neuen Muster und mit neuen Namen, ebenso ein neues Wegesystem. Ein großer Bevölkerungszuzug spiegelt sich in der Zunahme der Reihengräberfelder.
565 wird erstmal der Gebietsname Baiuaria genannt, 10 Jahre später der Herzog als Baiuarius bezeichnet (beidemale Venantius Fortunatus). Die Verbindung des fränkischen Herzogtums mit den Baiuvarii (Erstnennung ca. 550 bei Jordanes), die nach allem was erkennbar ist, nicht in diesem Raum ansässig waren, hatte also stattgefunden. Ob es ein politischer Zusammenschluss oder eine Unterwerfung war, ist ungeklärt. Sicher ist, dass mit den Baiuvarii soviel Legitimation und Prestige verbunden war, dass es identitätsstiftend war für den Raum und seine Bevölkerung.