Totgesagte leben länger: Die Zimbern in den Laimbachtälern

von Heike Arnold

von Prof. DDr.Hugo-Daniel Stoffella

Wenn die Bewohner der Laimbachtäler (Valli del Leno) vom Gewand sprechen, sagen sie heute noch gabàm, die Bluse ist die plus, die Ziege ist die goas, die Amme ist die ameda, der Bub der puo, der Alpensalamander ist der rockenstoz (in Lechtal in Nordtirol Rögastuarzo), der Rabe ist der ram, der Kreuzschnabel ist der krosnobel, die Krähen sind die krae, die Ochsen die ocse, die Gerste ist die gherste, Butter die botér, die Schnalle ist die snòl, der Trog ist der troc, und tschioke ist die große Glocke, welche die erste Kuh beim Almabtrieb trägt.

Wo liegen die Laimbachtäler?

Bei den Laimbachtälern handelt es sich um die zwei, vom Laimbach (Leno) durchflossenen Bergtäler, mit dem Haupttal Vallarsa/Brandtal und dem Nebental Terragnolo/Laym an der alten Tiroler Grenze am Südrand der Alpen. Der Laimbach durchfließt anschließend die alte Handels- und Industriestadt Rofreit (Rovereto) im Lagerthal (Val Lagarina), wo er in die Etsch mündet.
     In den zwei Laimbachtälern gibt es drei Gemeinden: Die flächenmäßig größte mit 1.350 Einwohnern ist Vallarsa/Brandtal, gefolgt von Trambileno/Trumelays mit 1.444 Einwohnern und schließlich die kleinste Terragnolo/Laym mit 731 Einwohnern.
     Die Laimbachtäler grenzen im Nordosten an die zimbrische Hochebene von Vielgereuth/Folgaria-Lafraun/Lavarone-Lusern/Luserna mit den anliegenden zimbrischen Visentheiner Siban Komaün (Sieben Gemeinden von Vicenza), während sie im Südwesten an die zimbrischen Draizehen Kamaun vun Bearn (Dreizehn Gemeinden von Verona) sowie an die zimbrischen Bergtäler im Voralpenland von Schio/Schleit, bestehend aus Rikobär/Recoaro, Levogre/Leogra und Busen/Posina, angrenzen.
     Die Laimbachtäler im südlichen Alttirol (heute Provinz Trient) bilden also das Herz des alten deutschen beziehungsweise zimbrischen Sprachraumes, wo die zimbrischen Gemeinschaften einst ein einheitliches Sprachgebiet bildeten.
     Über die Laimbachtäler führt außerdem der alte Pilgerweg, über den die Pilger aus den deutschen Ländern bis nach Verona oder Vicenza zogen, um dann von dort entweder ins Heilige Land nach Jerusalem (über Venedig) oder in die Heilige Stadt Rom zu den Apostelgräbern Petrus und Paulus weiterzuziehen. Bezeichnend ist die Schilderung des bayerischen Schriftstellers Ludwig Steub in seinem Werk Herbsttage in Tirol (1812-1888).
     Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird in der Fachliteratur rund 100 Jahre lang fast gebetsmühlenartig wiederholt, das die zimbrische Mundart in den Laimbachtälern ausgestorben sei. Seit knapp 15 Jahren sind aber die Laimbachtäler aus ihrem Dörnröschenschlaf erwacht. Doch alles der Reihe nach:
     In den letzten zwei Jahrhunderten haben die deutschen Mundartforscher (Johann Andreas Schmeller, Bruno Schweitzer, Hugo Resch u.a.m.) nur die Sieben Gemeinden, die Dreizehn Gemeinden und Lusern bereist und deren zimbrischen Vokabeln gesammelt. Erstmals sind jetzt auch in den Bergtälern am Laimbach die noch heute in der Mundart verwendeten zimbrischen Vokabeln erfasst worden.
     Wie jüngere (2010 und 2011 veröffentlichte) Forschungen erwiesen haben, lebt Zimbrisch in den Laimbachtälern noch weiter. Denn in der örtlichen Mundart wird noch heute eine Vielzahl von zimbrischen Wörtern und Redensarten verwendet. Auch die noch heute verwendeten Flurnamen sind zum Großteil zimbrischen, d. h. deutschen Ursprungs.
     Nur zwei Jahre später, 2013, hat das Einheitskomitee der historischen deutschen Sprachinseln in Italien als offizielles Vertretungsorgan in seinem Buch Ünsarne Börtar – Unsere Wörter anerkannt,  dass es in den Laimbachtälern noch Menschen gibt, die Zimbrisch sprechen. Es handelt sich um die erste offizielle Anerkennung der zimbrischen Mundart in den Laimbachtälern. Und heute liest man sogar auf Wikipedia.de, dass jetzt auch in den Laimbachtälern – dank des 2015 erschienenen zimbrischen Wörterbuches der Laimbachtäler – das Zimbrische dokumentiert ist.
     Denn rund 150 Jahre, nachdem das erste Wörterbuch der Volksmundart der deutschen Gemeinde Lusern veröffentlicht wurde und rund 70 Jahre, nachdem das erste Wörterbuch des in Lijetzan/Giazza gesprochenen Deutsch (Tautsch) herausgegeben wurde, ist im Jahr 2015 das erste deutsch-zimbrische Wörterbuch der Laimbachtäler erschienen.
     Wie die Medien berichteten, stellte das Wörterbuch einen echten Meilenstein dar. Erstmals sind auch in den Bergtälern am Laimbach die noch heute in der Mundart verwendeten zimbrischen Vokabeln und Redensarten erfasst worden, dank der vielen Laimbachtaler, die begeistert viele, noch heute lebendige mundartliche Ausdrücke gesammelt und dem Verfasser übermittelt haben. Die erste Auflage des deutsch-zimbrischen Wörterbuches der Laimbachtäler war sehr gefragt und bald vergriffen. 2020 folgte die zweite, erweiterte Auflage. Erstmals sind nun auch alle zimbrischen Orts- und Familiennamen systematisch erfasst worden. Zudem wird erstmals auch deren Ursprung und Bedeutung erläutert. Dasselbe gilt auch für die zahlreich veröffentlichten Flurnamen. Erstmals wird auch das Gebiet der einst selbstständigen Laimbachtaler Berggemeinde Orill/Noriglio (heute mit der Stadtgemeinde Rovereto vereint) einbezogen.

„Mit dieser Publikation liegt nun auch für das letzte fehlende Kettenglied im zimbri-schen Gebiet, nämlich die Laimbachtäler, ein Standardwerk vor, in dem der in der Mundart noch heute verwendete zimbri-sche Wortschatz mitsamt Orts-, Flur- und Familiennamen erfasst ist. Damit ist das zimbrische Gebiet vollständig erschlossen. Ein aufrichtiges Vergelt’s Gott dafür dem Autor, der sich mit großer Leidenschaft und Tatkraft für den Erhalt der zimbrischen Kultur einsetzt“,

schreiben im Vorwort die bayerischen Staatsminister Bernd Sibler und Albert Füracker.

     Das Wörterbuch hat nicht nur einen unerwartet weitreichenden Impuls zur Wiederentdeckung der zimbrischen Wurzeln in den Laimbachtälern gegeben, sondern auch die Förderung von Sprache, Kultur und Traditionen kräftig angeschoben. Großen Anteil an der positiven Entwicklung hat der 2012 von Arthur F. Stoffella (1937-2022) gegründete Kulturverein Laimbachtaler Zimbern, der 2022 einen Dokumentarfilm Zimbarn in Laimbachteldar geschaffen hat, zu sehen auf Youtube:  https://www.youtube.com/channel/UC_N9cUL21SgXnC9xocz63A
     Der Funke ist dabei vor allem auf die kleinste der drei Berggemeinden, Terragnolo/Laym, übergesprungen: Auf Initiative der gewählten Gemeindeväter (allen voran Maurizio Stedile-Togno, der auch stellvertretender Obmann des obengenannten Kulturvereins ist) sind zweisprachige Ortsschilder (Zimbrisch und Italienisch) aufgestellt worden, seit 2017 wird in der örtlichen Grundschule Zimbrisch unterrichtet, und vor drei Jahren wurde auch eine Abendschule für Erwachsene eingerichtet, die sich von Jahr zu Jahr immer größeren Zulauf erfreut.

     Dies alles in nur knapp 15 Jahren. Für die Motivation und den Ansporn haben nicht zuletzt auch das Cimbern-Kuratorium Bayern e. V. mit seinem Vorstandsvorsitzenden Jakob Oßner sowie die Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft mit ihrem 1. Vorsitzenden Christian Ferstl gesorgt. Ein aufrichtiges Vergelt’s Gott!